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Herbert Zangs

Krefeld 1924 - Krefeld 2003


Werk und Wirkung
Herbert Zangs ist ein Künstler, dem sein Ruf seit jeher in großen Schritten vorauseilt. Als exzessiv und egozentrisch, urtümlich und undiplomatisch wird er eschrieben. Zangs ist ein leidenschaftlich polternder Charaktertyp gewesen, oft ordinär und aufdringlich, zugleich aber ein Einzelgänger in höchster Konsequenz – eine geradezu legendäre Verwirklichung aller nur denkbaren Künstlerklischees zwischen Genie und Wahnsinn. Er arbeitet wie im Rausch und lässt das Geschaffene achtlos liegen, streunt dann wieder als weithin bekannter und gefürchteter Schnorrer durch das Nachtleben. Immer wieder ist er urplötzlich verschwunden – meist dann, wenn seine An wesenheit dringend nötig gewesen wäre, um Aufträge zu erhalten oder Ausstellungen zu eröffnen.

„Als Künstler braucht man in jeder Hinsicht Unabhängigkeit, das große Gefühl von Freiheit“, findet Zangs (Stationen meines Lebens, 1996, S. 133). Per Anhalter reist er durch die Welt, rast- und ruhelos, nächtigt in Galerien und Kellern, auf Parkbänken und unter Brücken wie ein Clochard. Konstanten, soweit für einen wie Zangs überhaupt möglich, bilden die wiederkehrenden Aufenthalte in der Geburtsstadt Krefeld und der Wahlheimat Paris – Letzteres jedoch nur, bis er 1979 wegen einer Schlägerei mit Polizisten aus Frankreich ausgewiesen wird. Diese Episode passt zu Herbert Zangs wörtlich wie die Faust aufs Auge.

Bis zu seinem Tod 2003 bleibt dieser Künstler eine eindrucksvolle Urgewalt. Noch in den letzten Lebensjahren, durch einen nachlässig behandelten Diabetes an beiden Beinen amputiert, verteidigt er aus dem Rollstuhl heraus seinen Ruf als „Enfant terrible“ der Kunstszene. So und nicht anders muss schließlich in Zangs’ Augen ein wahrer Avantgardist sein.

Innovationen eines Ausnahmekünstlers
Doch wie bei so vielen exzessiven Künstlern, verbirgt sich auch bei Herbert Zangs ein im Kern hochsensibler Charakter: der Rest des verletzlichen, zarten und etwas wunderlichen Kindes, das er einst war. Diese Seite verraten auch seine frühen Werke aus dem Jahrzehnt zwischen 1952 und 1962. Ohne das Wissen um die wüsten Eskapaden ihres Schöpfers erscheinen diese Arbeiten in all ihrer Kraft entfaltung doch zugleich melancholisch, still, geradezu poetisch.

Die berühmten „Verweißungen“, in denen sich die Farbe in transluziden Schichten über aufgefundene, reliefartig arrangierte Objekte breitet, auch die weißen oder geschwärzten Reliefgemälde mit Strukturen aus heiß aufgebrachter Farbmasse oder die gefalteten und geknüpften Objekte offenbaren einen Künstler von urtümlicher Kraft, aber auch von spröder, versteckter Feinfühligkeit.

Weißer Schnee - weiße Kunst
Im Zentrum von Zangs’ Schaffen steht die Farbe Weiß. In der Nachkriegszeit ist Weiß das Symbol der „Stunde null“, eines totalen Umsturzes. Schon 1918 bei Malewitsch Kennzeichen eines völlig neuen Kunstbegriffs, tritt das Weiß in den 1950er Jahren seinen Siegeszug an. Robert Rauschenbergs „White Paintings“ (1951), Lucio Fontanas weiße Monochromien oder Pietro Manzonis „Achrome“ setzen das weiße Bild als Statement. Mit der Konzentration auf die Farbe Weiß ist Herbert Zangs also völlig „up to date“. Noch während seiner Zeit als Student in den späten 1940er Jahren experimentiert er in einem leerstehenden Bunker erstmals mit weißen Bildern. 1952 findet er in den „Verweißungen“ eine neue, ganz persönliche Kunstform. Die Erklärung für diese Innovation ist so verblüffend wie subjektiv: Zangs ist als jugendlicher Soldat im Zweiten Weltkrieg bei der Luftwaffe in Finnland stationiert. Auf langen, einsamen Erkundungsflügen über die weite, mit dünnem Schnee bedeckte Landschaft brennt sich das Weiß geradezu in seinen Augapfel ein. Dieser Eindruck wird zur Keimzelle eines innovativen Œuvres. Zangs selbst befindet im Rückblick, dass er 1952 mit seinen „Verweißungen“ genau das verwirklichen kann, „was mir als Ziel schemenhaft seit Finnland vorgeschwebt hatte“. „Ganz Finnland ist aus der Luft gesehen ein Kunstwerk. Diesen Erinnerungen verdanke ich viele Werke, die ich dann später verwirklicht habe“ (Stationen meines Lebens, 1996, S. 28, 19). Es ist aber keineswegs die Schönheit dieser Landschaft, die Herbert Zangs inspiriert. Der Natureindruck ist, im Gegenteil, Symbol der Grenzerfahrung des Weltkriegs: „Die Landschaft […] ist baumarm. Und das Wetter ist extrem. Es wehen orkanartige Stürme im Winter, im Sommer ist es Tag und Nacht hell. […] Ich spürte, es war was in der Gegend, was die Menschen krank macht, im Kopf und am Körper“ (Stationen meines Lebens, 1996, S. 127). Dieser Eindruck verfestigt sich in einem Trauma-Erlebnis. Im Jahr 1943, gerade 19 Jahre alt, fliegt Zangs einen Erkundungsflug und stürzt über Norwegen ab. Erst Tage später wird er gefunden, allein, nur in seinen Fallschirm gewickelt, unterkühlt, mit dem Tod ringend in schneebedeckter Landschaft. Als er im Lazarett erwacht, gleicht die erste Wahrnehmung wieder der letzten: Nun ist es der Blick aus dem Fenster, auf die mit sanftem Schnee dünn gepuderten, weiten Ebenen. Die vom restlichen Geschehen wie losgelöste Detailwahrnehmung dieses Fensterblicks, die Zangs immer wieder beschreibt, ist nicht nur Merkmal einer Trauma-Erfahrung. Sie wird zugleich zum Motor bahnbrechender künstlerischer Entwicklung: „Da ist es, das ganze Geheimnis, der tiefe Grund für die Monochromie oder die Achromie ad litteram eines am Rand stehenden Werks, das im Lauf der fünfziger Jahre […] entwickelt wurde. In dieser Zeit war es am meisten Vorwegnahme“ (Pierre Restany, zitiert nach: Das offene Bild, Kat. 1993, S. 50)

Genie ohne Publikum
Stellt man die abstrakten Werke von Herbert Zangs aus dem Jahrzehnt von 1952 bis 1962 in den Kontext der Kunstentwicklung dieser Epoche, so zeigt sich die ganze innovative Kraft eines Ausnahmekünstlers: Von ZERO bis Manzoni, von Beuys bis Mack nimmt sein Schaffen vieles vorweg. Zangs ist ein Pionier der neuartigen, experimentellen Nachkriegskunst.

Doch als Innovationen gefeiert werden nicht die Arbeiten von Zangs, sondern die zeitgleichen, oft sogar deutlich später entstandenen Werke anderer. Blickt man heute, aus der historischen Distanz, auf die 1950er Jahre zurück, so ist man schnell versucht, die Kunstgeschichte zu Zangs’ Gunsten umgeschrieben sehen zu wollen. Pierre Restany urteilt:

„Zangs müßte mit vollem Recht und logischerweise ein Protagonist in der sich eröffnenden Debatte sein. Doch im Gegenteil, er verschwindet - wie ausradiert durch das Weiß von seinem persönlichen Schnee.“ „Der Zangs zu Beginn der fünfziger Jahre, der mit seinen weißen Objekten nur gezwungenes Lachen auslöste, war ein ‚Phänomen‘, das es erreichte, vergessen zu werden, bevor es uns vor zu große Probleme stellte.“ (Pierre Restany, zitiert nach: Das offene Bild, Kat. 1993, S. 52, 49f.).

Zangs wird also nicht, wie von den Nachgeborenen mit einiger Selbst verständlichkeit erwartet werden könnte, als Schrittmacher einer Epoche gefeiert. Vielleicht ist die Zeit in den 1950er Jahren noch nicht reif für einen wie ihn. Zumindest in Teilen ist die mangelnde Bekanntheit seines Schaffens aber auch dem Künstler selbst zuzuschreiben: Zangs produziert Kunst um der Kunst willen, er sucht keinen Platz in der Geschichte. Seine Karriere scheint ihm sogar geradezu gleichgültig zu sein. Er lässt Chancen fahren, verpasst Gelegenheiten und öffentliche Auftritte, scheut jede Gruppenzugehörigkeit, will niemals Teil einer „Strömung“ sein. Er verabscheut die Mechanismen der Kunstszene, das Werben der ZERO-Künstler kann ihn ebenfalls nicht beeindrucken. Als Werner Ruhnau ihm 1957 den Auftrag zur Gestaltung des Musiktheaters im Revier in Gelsenkirchen erteilen will, ist Zangs, wie so oft, einfach spurlos verschwunden. Ruhnau ist sich sicher: „Zangs, der gern lebt und liebt, war, als es darum ging, in Gelsenkirchen 1957 mit der Arbeit zu beginnen, sicherlich mit einer schönen Frau nach Paris verschwunden“ (Herbert Zangs, Kat. 1974, S. 133). Ein anderer verwirklicht dieses Projekt und wird damit berühmt: Yves Klein.

Zangs dagegen reist lieber per Autostopp um den Globus und produziert Kunst. Ohne sie auszustellen, ohne sie zu verkaufen, sogar ohne sie mit sich zu nehmen. „Ich habe mich nicht um den Verbleib der Werke gekümmert. Was mich zuallererst interessierte, war meine Aktivität. Ich wollte malen. Wenn mir das gelang, war mir alles andere egal, auch das Schicksal meiner Bilder. Geld habe ich sowieso selten gesehen“ (Stationen meines Lebens, 1996, S. 68).

Wiederentdeckung mit Hindernissen
In den 1950er Jahren schafft Zangs ein revolutionäres Œuvre, das jedoch nicht die Wirkung entfalten kann, die ihm gebührt. Die 1960er Jahre bringen keine Besserung. Im Gegenteil: Depressionen, Schaffenskrisen und Misserfolge lähmen Zangs. Dann aber, in den 1970er Jahren, kehrt er zurück. Nun tritt er überraschend und erstmals mit seinem fulminanten Frühwerk an die Öffentlichkeit.

Es ist dem scharfen Kennerblick von Adolf Luther zu verdanken, dass dieses Konvolut nicht auf dem Sperrmüll landet. 1972 entdeckt Luther, mit Zangs seit 1960 bekannt, im Keller einer Krefelder Schule zahlreiche Zangs-Werke der 1950er Jahre, verstaubt, teilweise für den Müll vorbereitet. Beim Umbau des Kaiser Wilhelm Museums werden die Arbeiten entrümpelt, entsorgt, ausgelagert. Luther entdeckt sie zufällig, bringt die Werke in Sicherheit und kontaktiert Zangs, den er zu Recht als Urheber in Verdacht hat. Diese
spektakuläre Wiederentdeckung einer ganzen Werkgruppe dürfte in der Kunstgeschichte wenig Vergleichbares haben.

Luther ist es auch, der 1974 die erste Ausstellung dieser frühen weißen Arbeiten im Westfälischen Kunstverein Münster anregt. Der Künstlerfreund Norbert Kricke schreibt im Katalog zur Schau: „Zangs hat gearbeitet, sich aber nie um das Publizieren seiner Dinge gekümmert. Niemand ist für ihn eingetreten. Ich freue mich sehr, daß
Herbert Zangs, der jahrelang zu Unrecht verschwiegen wurde, nun endlich seine frühen Arbeiten in der Öffentlichkeit zeigen kann“ (Herbert Zangs, Kat. 1974, S. 135).

Im Nachgang dieser Ausstellung beginnt nun die langsame Würdigung. Zangs nimmt 1977 mit den „Antibüchern“ an der Documenta 6 in Kassel teil, bespielt Ausstellungen in Galerien, auch in Museen in Deutschland und Frankreich. Das unverhoffte Wiedersehen mit dem eigenen Frühwerk verursacht zudem neuen Schaffensdrang. Zangs macht sich voller Elan daran, das Begonnene zu vollenden.Der Energieschub wird ihm aber auch zum Verhängnis: Unglücklich bereichert er die fulminanten Arbeiten der 1950er Jahre um einige rückdatierte Werke. Die Kunstszene, die den lange Ausgeschlossenen doch gerade erst rehabilitieren wollte, reagiert beleidigt, bauscht den Fall genussvoll auf. Der Künstler dagegen gibt alles unumwunden zu, erkennt auch kein Unrecht. Man mag Zangs, der sich selbst durch unüberlegtes Handeln schon so oft Probleme bereitet hat, Glauben schenken, wenn er gegenüber John Matheson äußert: „Natürlich habe ich immer wieder in meiner Frühzeit gelebt. Sie war mein Ursprung. Wenn ich in einer bestimmten Gemütsverfassung Materialien sah, bei denen mir etwas einfiel, habe ich diese schon mal wieder in der alten Art und Weise collagiert. Ich konnte sie dann allerdings gar nicht anders datieren als in die vergangene Zeit, in die sie ja gehörten. Das war eine Art Nostalgie, eine Art Sentimentalität […]. Ich hatte damals Kunst für die Kunst gemacht. Die mir jetzt angekreideten Datierungen habe ich aus meinem Œuvre herausgenommen. Sie sind nicht in dieser [1974] wie auch in keiner weiteren späteren Ausstellung mehr zu sehen!“ (Herbert Zangs, Kat. 1974, S. 139f.). Trotz allem: Der Ruf ist bis auf weiteres ruiniert, das frühe Œuvre, das heute mit dem kritischen Werkverzeichnis von Emmy de Martelaere wieder eine feste und verlässliche Basis gefunden hat, ist in den 1970er Jahren nicht unbefangen rezipierbar.

So bleibt die Anerkennung für Zangs auch jetzt hinter dem Geleisteten zurück. Und dies hat noch weitere Gründe: Für einen neuen Bahnbrecher ist schlichtweg kein Platz mehr. Diese vor dem Sperrmüll geretteten Objekte sollen die Kunstgeschichte auf den Kopf stellen? Das alles soll wirklich vor ZERO, vor Manzonis „Achrome“ entstanden sein? Diese Anerkennung fällt schwer, denn die Geschichte scheint bereits zu Ende geschrieben zu sein. Als Zangs nach mehr als einem Jahrzehnt in der Versenkung „ein wenig wie durch Zauberei wieder ins Rampenlicht trat, war das Spiel gespielt. Klein und Manzoni waren tot und die Majestät Beuys thronte wie eine Feldherrenstatue auf dem Sockel der modernistischen Widersprüche des Bonner Deutschlands“ (Pierre Restany, zitiert nach: Das offene Bild, Kat. 1993, S. 52).

So sind Zangs’ unbestrittene Erfolge in den 1970er Jahren immer überschattet von einem Zurückbleiben hinter den Verdiensten. Es kommen die 1980er, in denen der Künstler, dem neuen Geschmack nicht Untertan, nahezu völlig in Vergessenheit gerät. Noch Mitte der 1990er Jahre urteilt Zangs (Stationen meines Lebens, 1996, S. 70, 17f., 78): „Das Leben eines Avantgardekünstlers ist, wie ich im eigenen Leben erfahren habe, ein schweres Los“. „Die Kunst ist oft ein entsetzliches Drama. Manchmal habe ich mich gefragt, wozu das ganze. Und trotzdem, ich male weiter und weiter und weiter. Bis ans Ende meines Lebens. Da kann man seinen 70. Geburtstag ohne Beine erleben, und man steht unter einer Dusche voller Dreck und ist voller Optimismus“. Aber mit dem kraftvollen Trotz der Jugend stellt sich noch der alternde Zangs allen Hindernissen in den Weg: „Die Avantgarde, zu der ich mich zähle, hat nicht den materiellen Erfolg als Ziel. Sie will Kunst machen. Basta!“

Die zweite Wiederentdeckung
Erst seit den 1990er Jahren mehren sich die Stimmen, die Zangs vorbehaltlos anerkennen und laut fragen, ob die Kunstgeschichte hier nicht doch jahrzehntelang eine ganz wesentliche Figur übergangen hat.

Den Beginn macht 1992/93 die epochale, von Erich Franz kuratierte Ausstellung „Das offene Bild“ im Westfälischen Landesmuseum in Münster. Elf Werke von Zangs sind zu sehen, begleitet von einem Text von Pierre Restany und gleichberechtigt neben Künstlern wie Tàpies und Dubuffet. Zwei Jahre darauf zeigt die Hamburger Kunsthalle Werke aus der Sammlung Cremer in der Schau „Fluxus und Nouveaux Réalistes“. Yves Klein, Piero Manzoni und Lucio Fontana sind da vereint - wen wundert’s. Aber dann, inmitten der großen Namen: Objekte von Herbert Zangs. Es folgen wichtige Präsentationen von Zangs Schaffen wie die Einzelausstellung in der Pariser Fondation Cartier (1995). Die Retrospektive „Herbert Zangs - Werkübersicht“ reist 1996/97 vom Skulpturenmuseum Glaskasten in Marl in vier weitere deutsche Museen. In der Schau „L’Empreinte“, 1997 im renommierten Pariser Centre Pompidou präsentiert, hängt Zangs neben Arman, Manzoni und Fontana. Der französische Fonds national d’art contemporain (FNAC) kauft 2001 die ersten Zangs-Arbeiten für französische Museen an. Unter den jüngeren Ausstellungen sind Museumsschauen im Vaduzer Kunstmuseum Liechtenstein (2007: Joseph Beuys/Herbert Zangs. Die Fünfziger Jahre)
oder in der Städtischen Galerie im Park in Viersen anzuführen (2008: Phänomen - Herbert Zangs, Werke von 1947 bis 2003).

Bis heute steigt der Stern von Herbert Zangs, und ein Ende ist noch nicht in Sicht. Seine Werke finden sich mittlerweile in vielen bedeutenden internationalen Museen und Sammlungen. Auf dem Kunstmarkt steigen die Preise, massiv befördert durch die aktuelle ZERO-Begeisterung. Das alte Misstrauen ist vergessen, und der historische Abstand erlaubt einen ganz neuen Blick auf dieses Œuvre. Die Rezipienten des 21. Jahrhunderts haben sich frei gemacht von der alten Doktrin „Wie der Mann, so das Werk“, die Zangs’ Zeitgenossen niemals vollständig ausblenden konnten.

Wir Heutigen können dieses so eindrucksvolle, so völlig selbständige Œuvre vorurteilsfrei betrachten und genießen. Und mehr noch: Wir haben die Chance ergriffen, etwas Epochales neu für uns zu entdecken. So ist Herbert Zangs nun auf dem Weg zu seinem gebührenden Platz in der Kunstgeschichte - endlich.

Zangs und Zeitgenossen
Zangs an der Akademie
Schon im Krieg erkennt der junge Zangs, dass er Künstler werden will - nein, muss! Er fühlt sich berufen und vorherbestimmt, schreibt sich nach seiner Rückkehr ins zerbombte Krefeld - am nächsten Tag, wie er selbst sagt - sofort voller Tatendrang an der Düsseldorfer Akademie ein. Schon während der Studienzeit sucht Zangs den Weg in die Abstraktion, experimentiert in einem leerstehenden Bunker mit weißen Bildern. Später berichtet er: „Die Mitstudenten betrachteten mich als etwas Besonderes. Sie bewunderten mich, das darf
ich ohne Eitelkeit und Überheblichkeit sagen, wie ich mir eine Welt der Abstraktion eroberte“ (Stationen meines Lebens, 1996, S. 27f.).In den Akademieschülern Josef Beuys, Peter Brüning und Horst Egon Kalinowski findet er Freunde. Die meisten Lehrer empfindet er dagegen als „Behinderer“, die mit einem Urgenie wie ihm nicht umgehen können. Anders ist nur Otto Pankok, der Lehrer, Förderer und Freund. Auf einer Postkarte schreibt Pankok dem Schüler im Jahr 1953: „Lieber Zangs! Bitte bringen Sie doch bis zum Dienstag 4-5 Bilder (gerahmt) zur Kunsthalle, die besten natürlich. Ich habe zwei Räume frei bekommen für meine Schüler, jetzige und ehemalige. Da hätte ich Sie gerne dabei, als Kanone!“

Zangs und Grass
Zu Zangs’ Akademiebekanntschaften zählt auch Günther Grass, der in Düsseldorf in den frühen 1950er Jahren Bildhauerei studiert. Zangs und Grass arbeiten gemeinsam als Türsteher in der Düsseldorfer Bar „Zum Csikós“. Viele Nächte verbringen die beiden miteinander, trinkend, redend, arbeitend. Grass zückt immer wieder seinen Notizblock, wenn Zangs zu erzählen beginnt, und formt aus dem Freund schließlich die Figur „Herbert Lankes“ für seinen berühmten Roman „Die Blechtrommel“ (1959). Man mag Zangs im Ohr haben, wenn Grass seinen Lankes über eine seiner „Strukturellen Schrägformationen“ sinnieren lässt (zitiert nach: Catalogue raisonné, 2004, S. 101): „Da hat sich ein Genie, womöglich das einzige Genie des zwanzigsten Jahrhunderts, eindeutig und für alle Zeiten ausgesprochen. - Ob das Werk auch einen Namen hat? Ob eine Signatur den Meister verrät? - [...] Na, da steht geschrieben: Herbert Lankes, anno neunzehnhundertvierundvierzig. Titel: MYSTISCH, BARBARISCH, GELANGWEILT.“

Zangs und Beuys
Als Genie versteht sich Zangs ebenso wie Lankes. Sein schärfster Konkurrent auf diesem Gebiet ist in den 1950er Jahren der junge Joseph Beuys. Man kennt sich von der Kunstakademie. Zangs schreibt rückblickend: „Ich beginne am selben Tag wie Beuys. Wir kommen in dieselbe Klasse, zum Professor Mataré. Beuys war auch vom Niederrhein und sprach Dialekt, genau wie ich“ (zitiert nach: Catalogue raisonné, 2004, S. 117).

Es entsteht eine lose Künstlerfreundschaft. Die beiden trinken und philosophieren gelegentlich zusammen, verbunden nicht zuletzt durch die Kriegserfahrung als künstlerisches „Erweckungserlebnis“. Doch die Wege trennen sich: Beuys gelangt zu Weltruhm, Zangs gerät in Vergessenheit. Und das, obwohl Beuys in der richtungsweisenden Zeit der frühen 1950er Jahre hinter Zangs zurückbleibt - so die Meinung des Künstlers selbst, die mancher mit Blick auf das frühe Schaffen bestätigen mag. Zangs sieht sich selbst als großen, als einzigen Avantgardisten an der Düsseldorfer Akademie der frühen 1950er Jahre.

Tatsächlich findet man besonders in den frühen Collagen von Beuys durchaus eine Nähe zu Zangs - Anlass für das Kunstmuseum Liechtenstein, 2007 das Schaffen von Joseph Beuys und Herbert Zangs aus den 1950er Jahren in zwei Pendant-Ausstellungen zu würdigen und Zangs damit auf die gleiche Stufe wie Beuys zu heben. Auch Beuys selbst erkennt die Leistung von Zangs unumwunden an. Im Mai 1975 schreibt er: „Ich habe Zangs schon vor der Akademiezeit kennengelernt. Ich traf ihn komischerweise immer bei Hennig [einem Malereibedarfsgeschäft in Düsseldorf] [...]. Dort geisterte er dann als begeistertes Chaos herum [...]. Ich weiß nicht, was er machte. Später tauchte er dann an den unmöglichsten Stellen auf. Nun war er dann eine vitale Naturerscheinung. Ich erinnere mich später daran, daß er dann meistens wie Fidel Castro ausgesehen hatte. […] Er lieferte eine ganze Reihe von Gegenbildern, an denen man sehr viel Orientierung finden konnte“ (zitiert nach: Catalogue raisonné, 2004, S. 98).

Ruhmreiche Bekanntschaften
Noch während der Studienzeit beginnt Zangs auch sein rastloses Reiseleben. Die Eindrücke und Bekanntschaften sind zahlreich. 1948 lernt er etwa in Ancona Erich Maria Remarque kennen. Der weltberühmte Schriftsteller wird sein Duzfreund, fast täglich findet man sich zusammen. Er ist es auch, der Zangs mit Marlene Dietrich bekannt macht. Dem jungen Künstler bleibt von seiner Begegnung mit der Diva aber vor allem eines im Gedächtnis: „Im Gegensatz zu Remarque, der seinen Calvados genoß, trank Marlene Dietrich
keinen Alkohol“ (Stationen meines Lebens, 1996, S. 45).

Auch andere Berühmtheiten zählt Zangs zu seinen Bekannten, ja sogar Freunden. Da wäre zunächst die große Schauspielerin Elisabeth Flickenschildt. Zangs berichtet von einer eindrucksvollen Feier, bei der alle Damen sich ihrer Unterhosen entledigen und sie ins Lager feuer werfen: „Die Flickenschildt hatte aufgrund ihrer Statur eine der größten“ (Stationen meines Lebens, 1996, S. 65). Die berühmte Hildegard Knef wird Zangs’ Zeichenschülerin. Und während seiner Zeit in New York, als Zangs am Times Square als Straßenmaler ein paar Münzen zu verdienen versucht, wird er von einem jungen Musikanten begleitet, einem „Kollegen, der zur Avantgarde gehörte“ (Stationen meines Lebens, 1996, S. 82): Bob Dylan. Auch Jane Fonda bemüht sich um Zangs und vermittelt ihm eine Galerieausstellung bei Leo Castelli. Doch der unstete Krefelder reist noch vor der geplanten Schau unverrichteter Dinge wieder ab und verzichtet auf den möglichen Durchbruch in den USA.

In Zangs’ Wahlheimat Paris lebt Henry Miller im Zimmer neben seinem Atelier. Die beiden Künstler, Brüder im Geiste, ziehen oft nächtelang gemeinsam um die Häuser. Zangs erinnert sich an einen gemeinsamen Abend in einem Bistro mit eigener Brauerei: „Und was bestellte Henry Miller? Belgisches Bier. Das in einem großen Pott“ (Stationen meines Lebens, 1996, S. 122).

Wols und Zangs: Clochards aus freien Stücken
In Paris begegnet Zangs auch Wols. Die beiden verbindet eine Künstlerfreundschaft par excellence, eine regelrechte Amour fou unter Gleichgesinnten. Schauplatz ist das Paris der frühen 1950er Jahre, ein brodelnder Schmelztiegel der Nachkriegsavantgarde. Zangs führt hier immer wieder das Leben eines Clochards. Auch Wols sucht dieses eigenwillige Ideal, während seine Frau lieber in einem Hotel im Quartier Latin nächtigt. Zangs berichtet von der ersten Begegnung: „Ich bin zu den Brücken der Seine gegangen und habe dort nachts geschlafen. Morgens leerte ich die Mülltonnen, suchte nach Essen. Ich fand dieses Leben so reizvoll, dass ich Paris auf keinen Fall verlassen wollte. Eines Tages gesellte sich ein Mann unter den Brücken zu mir. Er war betrunken, sprach Deutsch und stellte sich mir als Wols vor. Eigentlich hieß er ja Schulze. […]

Ein guter Kumpel, ziemlich runtergekommen, am liebsten betrunken, mit kaputten Schuhen und zerrissener Hose. […] Ich fand ihn sympathisch“ (Stationen meines Lebens, 1996, S. 73f.). Mit Wols versteht er sich gut, die beiden teilen Alkohol und Lebensmittel, führen angeregte Gespräche über abstrakte Kunst. Um etwas Kleingeld zu erhalten, sammeln sie alte Weinflaschen - die Arbeitsteilung ist charakteristisch: Wols leert die Reste, Zangs bringt das Leergut zurück und sammelt die Korken. Diese näht er in alte Betttücher ein und erfindet so seine berühmten „Knüpfungen“ - eine Kunstform, die unter den Seine-Brücken ihre geistige Heimat hat. Wols verstirbt am 1. September 1951 in Paris an einer Lebensmittelvergiftung von verdorbenem Fleisch. Der Tod ereilt ihn wenige Tage nach dem letzten Treffen mit Zangs, bei dem die beiden unter der Brücke eine gewaltige Wurst verzehren. Zangs befindet im Rückblick: „Ich will aber nicht daran glauben, dass er sich durch Essen vergiftet hat. Vielmehr glaube ich, daß er sich Magen und Leber mit dem vielen Alkohol ruiniert hat. Daran ist er, so behaupte ich, gestorben“ (Stationen meines Lebens, 1996, S. 77f.). Der kurze, intensive Kontakt mit Wols bleibt für Zangs ein prägendes Erlebnis. Über Wols findet er zum Informel. Und das schon 1952, als einer der ersten deutschen Künstler überhaupt.

Inspiration Zangs
Dass Zangs ein Neuerer ist, bleibt auch den Avantgardisten seiner Zeit nicht verborgen. Viele Künstler sehen in ihm einen Bahnbrecher. Zu nennen ist etwa der große Piero Manzoni, der 1957 die „Achrome“ aus der Taufe hebt. Dass es offenbar Zangs ist, der dieser Werkgruppe das Stichwort gibt, machen nicht nur die deutlich früher entstandenen weißen Bilder des Krefelders augenscheinlich. Auch die Reaktion von Manzoni auf einen Besuch Manfred de la Mottes in seinem Atelier ist bezeichnend: Der Italiener zeigt sich höchst erstaunt über die Visite, da doch gerade kein Geringerer als Herbert Zangs ebenfalls in der Nähe arbeite. Manzoni selbst verleiht Zangs damit den Rang eines Künstlers, dessen Leistung er über der eigenen ansiedelt.

Auch die Mitglieder von ZERO erkennen Zangs’ Innovationen als vorbildhaft an. Sie sehen in dem einige Jahre älteren Avantgardisten einen Geistesverwandten - völlig zu Recht, wie der Blick zurück auf das Schaffen ab 1952 zeigt: Lange vor ZERO bricht Zangs dieser experimentellen Strömung die Bahn. Schon im Gründungsjahr von ZERO kommen Otto Piene und Heinz Mack auf Zangs zu, wollen ihn zu ihrer Gruppe holen. Immer wieder nimmt Zangs auch an den ZERO-Abenden teil, doch gemein machen will er sich nicht mit Piene, Mack und Uecker. Das ständige Theoretisieren ist dem urtümlichen Kraftmenschen Zangs zuwider. Er will vor allem eines: Kunst machen. Und das als bedingungsloser Individualist.

Zangs als Artist’s Artist
Individualisten werden, so ist es die Regel, von Gleichgesinnten zuerst erkannt. Und somit trifft das wohl größte Kompliment, das man einem Künstler machen kann, auch auf Zangs zu: Er ist ein „Artist’s Artist“, ein Künstler, dessen Werk von anderen Künstlern geschätzt wird. Adolf Luther bewundert Zangs zeitlebens, und noch heute finden sich einige der besten Arbeiten von Zangs in der Sammlung der Adolf-Luther-Stiftung. Auch der Künstler Siegfried Cremer sammelt Zangs’ Werke. In den 1950er Jahren arbeitet Cremer als Restaurator am Krefelder Kaiser Wilhelm Museum. Die erste Begegnung mit Zangs bleibt ihm in bester Erinnerung (zitiert nach: Catalogue raisonné, 2013, S. 62):

„Eines schönen Tages wurde meine Ateliertüre im Museum aufgerissen und Zangs stürmte herein. Ganz plötzlich und mit unbeschreiblicher Präsenz stand er in meinem Atelier. Es ist mir leider nicht mög lich, die Vitalität von Zangs - der zu dieser Zeit 31 Jahre alt war - zu beschreiben. Jede Begegnung mit ihm war für mich atemberaubend. Alles, was er sagte, brach nur so aus ihm heraus. Mit raubtierhafter Sicherheit und Schnelligkeit erkannte er alles, reagierte blitzschnell und vollkommen sicher. Niemals vorher oder nachher bin ich einem solchen Menschen begegnet.“

Kurzzitate
Catalogue raisonné, 2004: Emmy de Martelaere, Herbert Zangs. Catalogue raisonné des œuvres abstraites, Bd. 1,1, Paris 2004.
Catalogue raisonné, 2013: Emmy de Martelaere, Herbert Zangs. Catalogue raisonné des œuvres abstraites, Bd. 1,3, Paris 2013.
Das offene Bild, Kat. 1993: Ausst.-Kat. Das offene Bild. Aspekte d. Moderne in Europa nach 1945, Ausstellung im Westfälischen Landesmuseum Münster, Stuttgart 1992.
Herbert Zangs, Kat. 1974: Ausst.-Kat. Herbert Zangs, Ausstellung im Westfälischen Kunstverein Münster, Münster 1974.
Stationen meines Lebens, 1996: Herbert Zangs. Sehen in Weiß – Stationen meines Lebens, Pulheim 1996.


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