Krefeld 1924 -
Krefeld 2003
Die berühmten „Verweißungen“, in denen sich die Farbe in transluziden Schichten über aufgefundene, reliefartig arrangierte Objekte breitet, auch die weißen oder geschwärzten Reliefgemälde mit Strukturen aus heiß aufgebrachter Farbmasse oder die gefalteten und geknüpften Objekte offenbaren einen Künstler von urtümlicher Kraft, aber auch von spröder, versteckter Feinfühligkeit.
Weißer Schnee - weiße Kunst
Im Zentrum von Zangs’ Schaffen steht die Farbe Weiß. In der Nachkriegszeit ist Weiß das Symbol der „Stunde null“, eines totalen Umsturzes. Schon 1918 bei Malewitsch Kennzeichen eines völlig neuen Kunstbegriffs, tritt das Weiß in den 1950er Jahren seinen Siegeszug an. Robert Rauschenbergs „White Paintings“ (1951), Lucio Fontanas weiße Monochromien oder Pietro Manzonis „Achrome“ setzen das weiße Bild als Statement. Mit der Konzentration auf die Farbe Weiß ist Herbert Zangs also völlig „up to date“. Noch während seiner Zeit als Student in den späten 1940er Jahren experimentiert er in einem leerstehenden Bunker erstmals mit weißen Bildern. 1952 findet er in den „Verweißungen“ eine neue, ganz persönliche Kunstform. Die Erklärung für diese Innovation ist so verblüffend wie subjektiv: Zangs ist als jugendlicher Soldat im Zweiten Weltkrieg bei der Luftwaffe in Finnland stationiert. Auf langen, einsamen Erkundungsflügen über die weite, mit dünnem Schnee bedeckte Landschaft brennt sich das Weiß geradezu in seinen Augapfel ein. Dieser Eindruck wird zur Keimzelle eines innovativen Œuvres. Zangs selbst befindet im Rückblick, dass er 1952 mit seinen „Verweißungen“ genau das verwirklichen kann, „was mir als Ziel schemenhaft seit Finnland vorgeschwebt hatte“. „Ganz Finnland ist aus der Luft gesehen ein Kunstwerk. Diesen Erinnerungen verdanke ich viele Werke, die ich dann später verwirklicht habe“ (Stationen meines Lebens, 1996, S. 28, 19). Es ist aber keineswegs die Schönheit dieser Landschaft, die Herbert Zangs inspiriert. Der Natureindruck ist, im Gegenteil, Symbol der Grenzerfahrung des Weltkriegs: „Die Landschaft […] ist baumarm. Und das Wetter ist extrem. Es wehen orkanartige Stürme im Winter, im Sommer ist es Tag und Nacht hell. […] Ich spürte, es war was in der Gegend, was die Menschen krank macht, im Kopf und am Körper“ (Stationen meines Lebens, 1996, S. 127). Dieser Eindruck verfestigt sich in einem Trauma-Erlebnis. Im Jahr 1943, gerade 19 Jahre alt, fliegt Zangs einen Erkundungsflug und stürzt über Norwegen ab. Erst Tage später wird er gefunden, allein, nur in seinen Fallschirm gewickelt, unterkühlt, mit dem Tod ringend in schneebedeckter Landschaft. Als er im Lazarett erwacht, gleicht die erste Wahrnehmung wieder der letzten: Nun ist es der Blick aus dem Fenster, auf die mit sanftem Schnee dünn gepuderten, weiten Ebenen. Die vom restlichen Geschehen wie losgelöste Detailwahrnehmung dieses Fensterblicks, die Zangs immer wieder beschreibt, ist nicht nur Merkmal einer Trauma-Erfahrung. Sie wird zugleich zum Motor bahnbrechender künstlerischer Entwicklung: „Da ist es, das ganze Geheimnis, der tiefe Grund für die Monochromie oder die Achromie ad litteram eines am Rand stehenden Werks, das im Lauf der fünfziger Jahre […] entwickelt wurde. In dieser Zeit war es am meisten Vorwegnahme“ (Pierre Restany, zitiert nach: Das offene Bild, Kat. 1993, S. 50)
Genie ohne Publikum
Stellt man die abstrakten Werke von Herbert Zangs aus dem Jahrzehnt von 1952 bis 1962 in den Kontext der Kunstentwicklung dieser Epoche, so zeigt sich die ganze innovative Kraft eines Ausnahmekünstlers: Von ZERO bis Manzoni, von Beuys bis Mack nimmt sein Schaffen vieles vorweg. Zangs ist ein Pionier der neuartigen, experimentellen Nachkriegskunst.
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